Beim Opening der Langen Nacht der Demokratie am 15.9. hielten der Journalist Alex Rühle, Süddeutsche Zeitung, die Schriftstellern Lena Gorelik, die Dramaturgin Rania Mleihi und die Poerty Slammerin Felicia „Fee“ Brembeck leidenschaftliche Plädoyers, sich jetzt aktiv für die Demokratie einzusetzen. Wir dokumentieren im folgenden Auszüge aus ihren eindrucksvollen Texten.
LENA GORELIK, SCHRIFTSTELLERIN
Demokratie ist einer dieser riesengroßen Begriffe. Sie klingen groß, aber erzählen Vages. Man nimmt sie – wenn man denn das Privileg hat, in einer demokratischen Gesellschaft aufzuwachsen – hin, wie man auch die Liebe der Eltern hin nimmt, als hätte man ein Anrecht darauf, als wäre sie eine geborgenheitspendende Selbstverständlichkeit ohne spürbaren Wert. Der Glaube an die Demokratie (wie an die elterliche Liebe) muss nicht einmal ein Glaube sein, er ist ein gefühltes Wissen: Dass sie währt. Wir leben in einer Demokratie, ist kein Satz, den man lernt, in Frage zu stellen; das ist das Schöne an ihr, und vielleicht ein systemimmanentes Problem.
Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht, dass Sie diesen Moment suchen, diesen Wendepunkt, an dem die kleinen Risse zu einer Spalte wurden, zu diesem nicht mehr zu übersehenden Loch in der Geborgenheit unserer demokratischen Gesellschaft? (…)
Geht es Ihnen auch so wie mir, dass Sie das Gefühl haben, dass sich all diese Ereignisse und Zeichen und Unstimmigkeiten und Schrecken verdichten, dass die Abstände zwischen den einzelnen Grenzüberschreitungen, dieser dünnen, und so bedeutsamen Grenze dessen, was noch demokratisch ist, immer kleiner werden? Haben Sie auch manchmal Angst, Nachrichten zu lesen? Ich würde gerne sagen, ich bin auch eine besorgte Bürgerin, eine, die um unsere Demokratie und unser Miteinander besorgt ist, um die Gesellschaft, in der ihre Kinder aufwachsen, aber ich bin nicht mehr besorgt und ich bin nicht mehr schockiert. Ich weiß noch nicht mal mehr, ob ich noch wütend bin. Ich bin eigentlich panisch, wenn ich mir vor Augen führe, mit was für einer Geschwindigkeit sich in unserem Land Grenzen des Sagbaren und Definitionen verschieben. Diese unbestimmte, blinde Angst, die in parlamentarischen, öffentlichen und immer mehr auch alltäglichen Debatten die Richtung bestimmt, dieser instrumentalisierte Hass, der Gewalt provoziert und konstruktive Gespräche erstickt, diese Möglichkeit des Vergessens; was war, und was geschehen kann, des Vergessens einer gemeinsamen Zukunft. Einer Einigkeit auf Demokratie. Geht es Ihnen auch so, dass Sie manchmal nicht mehr wissen, was Sie tun können um zu verhindern, was gerade geschieht? (…)
Was tun Sie, und was tue ich? Eine Weile dachte ich, es sei gut, mit denen, die so anders denken und fühlen als ich, zu sprechen, dass die Demokratie auch das aushalten muss: Entgegen gesetzte Ansichten, dass zur Demokratie gehört, Gräben zu überwinden zu versuchen, Brückenbauen und all diese schönen Bilder. Aber diese entgegen gesetzten Ansichten sind zu einem Hass geworden, zu einem Hass gegen Menschen wie ich, die aus anderen Ländern und Kulturen stammen, anders leben und fühlen und lieben als sie selbst. Dieser Hass hat angefangen, laut, in Parolen und Gewalttaten, das mit den Füßen zu treten, worauf unsere Demokratie basiert: Das Grundgesetz, die unantastbare Würde des Menschen. Dann dachte ich eine Weile, dass es vielleicht wichtig sei, klein zu beginnen, naiv und verträumt dachte ich, wir könnten alle in unserem Alltag etwas tun, also achtete ich besonders darauf, jedem Menschen, den ich im Alltag begegne, in der UBahn, beim Bäcker, auf der Straße mit besonders viel Achtung, mit Komplimenten und zur Schau gestellten Offenheit zu begegnen, und das andere dachte ich sowieso: Dass es so wichtig sei, wie wir unsere Kinder erziehen, dass es nicht nur um die Frage geht, welche Welt wir ihnen hinterlassen, sondern auch darum, welche Menschen wir der Welt hinterlassen, all das. All das dachte ich, aber jedes Mal, wenn ich die Nachrichten las, kam dieses Gefühl wieder hoch, dieser lähmende Stillstand. Heute ist ein besserer Tag ist, weil es heute diese Veranstaltung gibt, die Lange Nacht der Demokratie, und weil Sie alle hier sind. An den besseren Tagen schwöre ich mir, einfach weiter zu kämpfen, jeden Tag etwas neues zu suchen und zu probieren. Zu zeigen, dass das Land unseres ist, nicht das der besseren Menschen, die den Slogan Wirsindmehr über ihre Facebook- und Twitter Profilbilder legen, sondern das Land der Demokraten. (…)
Demokratie ist die Herrschaft des Volkes, Demokratie ist aber mehr als das: Es ist der Glaube daran, dass Menschlichkeit funktioniert. Dass wir – denk- und empathiefähige – Wesen sind, die mehr sehen und fühlen können als nur sich selbst. Dass wir den- und die anderen mitdenken und stehen lassen können, dass es ein Nebeneinander anstatt eines Ausschlusses geben kann. Dass wir mit- und aneinander wachsen können und dürfen, Demokratie ist kein Stillstand, es ist ein Prozess, vielleicht ist es auch dieser Pathos, der in diesen Sätzen steckt; vielleicht braucht Demokratie – wie jeder Glaube – auch ein Gefühl. Vielleicht haben wir dieses Gefühl vergessen, genau das: Uns an unserer Denk- und Meinungs- und Ausdrucks- und Glaubens- und Lebenseinstellungsfreiheit zu freuen, an dem Geschenk, beitragen zu dürfen. Für all das lohnt sich zu kämpfen, jeden Tag aufs Neue, jeden Tag, vielleicht sogar mit einem Text, der knapp an einer Predigt kratzt. Wir können dieser Tage nicht genug tun für diese riesengroßen Begriffe wie Freiheit, Menschenwürde, Demokratie.
RANIA MLEIHI, DRAMATURGIN
Wir schaffen Das/ Die lange Nacht der Demokratie
Wir schaffen das… wie wichtig ist es diesen Satz zu hören, in einem Moment in dem du zerstörst bist… Wenn du keine Kraft mehr hast.. Wenn du verzweifelt von der Menschheit bist und du keine Ahnung hast, was gerade passiert ist und wie dein Leben weiter gehen wird.. wenn du hoffnungslos bist und du dich einfach verloren fühlst. Das betrifft viele Menschen in verschiedenen Situationen.
Wir schaffen das.. Wir: du und ich schaffen das… Ich bin nicht allein, du auch nicht.. Das schaffen wir zusammen. Es gibt endlich das Wort „zusammen“. Wir sind ähnlich, du und ich.
Ich bin dein Spiegel und du bist meiner. (…)
Ich erinnere mich als ich nach Deutschland kam, genau vor 1000 Tagen..
Ich erinnere mich als ich meinen Lebenslauf an jeden Menschen, den ich kannte und den ich nicht kannte geschickt habe. Ich hatte das Gefühl, dass jeder auf der Straße mich sofort erkennen würde, dass er oder sie bestimmt auch meinen Lebenslauf bekommen hatten.
Ich brauchte eine Stelle und ich wollte eine Stelle finden. Meine Freunde haben mir “wir schaffen das“ gesagt. Wir, du und ich, wir schaffen das.
Ich war alleine hier aber ich habe nie gefühlt, dass ich alleine bin. Die Gesellschaft hat mir gezeigt wie wir “Wir schaffen das“ schaffen können. Ich habe es gefühlt, ich habe es gesehen und ich habe es gespürt. Ich habe Unterstützung bekommen von Freunden, Leuten, die ich hier neu kennengelernt habe und Fremden, die an “Wir schaffen das“ geglaubt haben.
Als ich hierher kam, konnte ich schon relativ gut Deutsch sprechen. Als ich eine Studentin an der Theaterhochschule Damaskus war, habe ich ein paar Deutschkurse besucht. In München hat mich mein Weg zufällig zu Björn Bicker und Malte Jelden gebracht…
Wir haben über Theater, über Kulturen über Kriege und über uns geredet. Ich habe ihnen meine Träume, meine Ängste und meine Hoffnungen vorgestellt. “Wir schaffen das“ haben sie mir gesagt und ich habe es geglaubt. Wir, du und ich zusammen, wir schaffen das.
Ich habe später mit Björn und Malte ein Theaterprojekt entwickelt. In kurzer Zeit habe ich meinen Weg zu den Münchner Kammerspielen gefunden. Einen offenen Raum haben wir durch viele offene Herzen geschaffen. Ich habe mich zugehörig gefühlt und ich habe gesehen wie “wir schaffen es“ erschaffen wird. Ich war sehr glücklich zum ersten Mal zu sehen, wie Politik und Gesellschaft in Richtung Menschheit denken und nicht nur in Richtung der Gier nach Macht und Geld. (…)
Ich habe Glück mit meinem Berufsbereich. Es ist überall bekannt, dass die Theaterwelt immer offener und freier ist. Wegen unserer Arbeit, verbringen wir mehr Zeit im Theater als draußen.
Ich merke aber schon, wie jetzt wieder (…) thematisiert wird welche Haut oder Haarfarbe du hast, und wenn nicht dann dein Akzent.
Woher kommst du, ist wieder eine von der ersten Fragen, die man gestellt bekommt, wenn man sich mit neuen Leuten trifft.
Das macht mich traurig. (…)
Aber ich möchte meine positive Haltung nicht aufgeben. Ich möchte immer glauben, dass auf diesem Planeten jeder einen Platz hat. Einen Platz wo er sein möchte.
Die traurigen events, die in der letzten Zeit passiert sind, wo Haas und Rassismus ganz laut (…) wurden, haben mich traurig gemacht. Aber (…) auch zu sehen wie die Menschen reagierten, war richtig super. Tausende Menschen in vielen Städten sind auf die Straßen gegangen, um gegen Rassismus zu stehen. Das sind wir.
Also, Let’s fall in Love again. Der Weg ist nicht einfach, aber was sind wir ohne Hoffnung?
FELICIA FEE BREMBECK, POETRY-SLAMMERIN
Ich will, dass du’s tust!
Damit wir nicht stumm bleiben,
Ich will, dass du’s tust,
Dass jemand die Sorgen hört, die dich umtreiben,
ich will, dass du’s tust!
(…) Aber warum eigentlich?
Warum sollte jemand wählen gehen?
(….) Vor allem meiner Generation scheint der Bock zur Wahl abhanden gekommen zu sein. Und das kann man ja leicht erklären: Wählen ist einfach langweilig.
Es stellte sich heraus, dass viele potentielle junge Wähler und Wählerinnen, die zur Bundestagswahl zuhause geblieben sind, noch nicht mal wussten, WANN die Wahl gewesen wäre. Zur Primetime war die ja auch schon um!
Und kann man es ihnen vorwerfen? Ich finde: Nein. Weil Wählen einfach übelst unentertaining ist und wenn man eines über junge Menschen weiß, dann doch, dass sie entertaint werden wollen.
Deswegen strömen die jungen Menschen des Landes an all jenen schicksalhaften Sonntagen auch nicht in leergeräumte Grundschulen, sondern bleiben auf der Couch und schauen Shopping Queen. (…)
Ich weiß es nicht. Ich bin Poetry Slammerin. Wenn du mich fragst, was man tun könne, was man denn jetzt noch tun könne, wie wir uns alle neu in die Demokratie verlieben könnten, dann schreib ich dir einen halbwitzigen satirischen Text, in dem ich die Wahl mit TV-Sendungen vergleiche. Oder ich mach dir ein Gedicht, in dem ich pathostriefend mit halbliterarischen Endreimen versuche, in meine Generation zu dringen und sie mit emotional performten Argumenten an die Wahlurne zu bringen.
Ich weiß, dass ich vor ein paar Tagen mit einer Freundin von den Jungen Grünen zusammensaß und wieder fragte, was wir denn tun könnten, was wir denn jetzt noch tun könnten, ob es denn so gar nichts gäbe, was uns kurz vor der Wahl noch mal retten könnte vor der Blauen Gefahr und der schwindenden Demokratie und dem Verfall sämtlicher menschlicher Werte, die mir je wichtig waren, und weil sie bei den Jungen Grünen ist und nicht bei der SPD, hat sie nicht resigniert mit den Schultern gezuckt, und weil sie keine Poetry Slammerin ist, hat sie keine Witze gemacht, sondern natürlich hatte sie Ideen und Visionen und hat mir von Fahrradwegausbauplänen erzählt und vom kostenlosen öffentlichen Nahverkehr und sogar auch von Bildungsplänen in Sachsen und irgendwann musste sie dann zugeben, dass das vielleicht auch keine Vorschläge sind, die jetzt noch das Ruder rumreißen und dass niemand zum Wählen gehen wird wegen besserer Fahrradwege und keine AfD-Wählerin links wird, wenn sie kostenlos U-Bahn fahren darf, und dass das alles mit der Bildung eher sowas für die nächsten vier Jahre wäre.
Und ich hab dann einfach so gesagt: Wenn es bis dahin nicht zu spät ist.
Und dann sind wir beide ziemlich still geworden, weil wir uns plötzlich einig waren, dass es in vier Jahren keine Demokratie mehr geben wird, wie wir sie gekannt haben.
Vielleicht ist uns in dem Moment so richtig bewusst geworden, dass alles, was wir für selbstverständlich halten durften, während wir in unseren überprivilegierten Filterblasen aufwuchsen, plötzlich wieder in Frage steht und dass wir es verlieren könnten, wenn wir nicht kämpfen.
Und dann schwiegen wir noch eine Weile.
Vielleicht, weil uns klar wurde, dass wir all das auch verlieren könnten, wenn wir kämpfen und dass es vermutlich nicht reichen wird, uns auf einen Rechtsstaat zu verlassen, der jetzt schon in Teilen antidemokratisch unterwandert ist.
Und als ich heimfuhr, schwieg es in mir weiter, vielleicht, weil mir klar wurde, dass wir ganz Vieles davon bereits verloren haben. (…)
Aber ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wie die Antwort ist und was man jetzt noch tun kann.
Aber einfach weiter Drogen nehmen und sich zynisch über Wähler*innen und Demonstant*innen lustig machen, während man jede Woche wieder vorm Brandenburger Tor darauf wartet, dass irgendwer die Revolution startet, das ist vermutlich genau so wenig ein Weg wie der Ausbau von Fahrradwegen oder das Verschenken von Gummi- Einhörnern.
Ich will, dass du’s tust!
Was du denkst, muss nicht meine Meinung sein,
aber tu’s, damit du sie trotzdem frei
äußern kannst und das straffrei bleibt!
Tu’s für jeden, der öffentlich in Medien schreibt, damit Journalismus unbequem und kritisch sein darf, und Fotos das zeigen, was wirklich geschah.
Ich will, dass du’s tust!
Tu’s für die Jungen, damit ihre Zukunft was wert ist, damit die Ausbildungssuche nicht unnötig schwer ist, tu’s damit es für sie Perspektiven gibt,
weil, was geschieht, in ihren Händen liegt,
ich will, dass du’s tust!
Für unsere Alten, dass sie nicht vergessen werden, tu’s, denn niemand möchte alleine sterben,
Tu’s auch, weil das Sterben zum Leben gehört,
damit Krankheit unser Bild von Gesellschaft nicht stört, Tu’s, weil Pflege, weil Fürsorge wertvoll sein muss und bezahlt werden sollte,
Ich will, dass du’s tust!
Tu’s für alle mit Migrationshintergrund
Weil unsere Welt nicht braun ist, sondern bunt.
Damit deine Herkunft kein Kriterium ist,
an dem man deinen Wert bemisst,
tu’s für Geflüchtete und tu’s für Integration,
für die, die ehrenamtlich helfen, tu es als Lohn,
ich will, dass du’s tust!
Weil, was in deinem Kopf ist, nur dir gehört,
damit, was auf deinem Kopf ist, niemanden stört,
glaub doch einfach, was du möchtest,
und tu’s, damit man dich dafür nicht entrechtet,
damit dich niemand zu einem Glauben zwingt
aber dir deine Religion auch keine Nachteile bringt,
will ich, dass du’s tust.
Für Arbeitslose, dass ihnen die Würde bleibt,
für die ohne Obdach, weil man sie zu oft verschweigt,
tu es, dass sich was ändern kann,
tu’s für Chancengleichheit von Frau und Mann,
tu’s für einen Weg aus der Armut heraus
tu es für jeden und jede, der oder die dich braucht.
Ich will, dass du’s tust!
Für Alleinerziehenden, damit auch sie Familie sind,
egal mit wem sie aufwachsen, tu’s für jedes Kind,
tu’s für die, die noch zu klein sind, für sich selbst einzustehen,
damit sie auf eine Zukunft ohne Kriege zugehen,
tu’s für Bildung und Gewaltlosigkeit,
tu’s, damit Diskriminierung bald haltlos erscheint,
tu’s für die ungeborene Generationen,
tu’s für die Zukunft deiner Region,
ich will dass du’s tust!
Tu’s für andere, tu’s auch für mich,
tu’s für deine Freiheit, also tu’s für dich!
Wir haben eine Demokratie. Und du kannst sagen, was du willst, aber ich glaube, dass das phantastisch ist. Wenn dir niemand zusagt, von all denen, die man da wählen könnte, dann nutze diese Demokratie und lass dich selbst wählen, denn auch das geht. Ändere das System, wenn’s dir nicht passt, gründe eine Partei, geh ins Europaparlament, werd Deutschlands erstes antifaschistisch organisiertes Polizeidepartment, starte eine Staatliche Bildungsinitiative, wenn du bisher Nazis gepuncht hast und damit noch keine nennenswerten Erfolge für die Demokratie hattest, dann versuch’s morgen einmal mit Reden, sag deine Meinung, geh demonstrieren, nutze die Pressefreiheit, nutze deine Rechte, aber bitte kämpf!
Und, weil wir was ändern könne, weil wir NOCH was ändern können, weil es vielleicht noch nicht zu spät ist, will ich, dass du’s tust, let’s fall in love again, Baby, gib dieser Demokratie noch’ne Chance, damit wir in 4 Jahren nicht da sind, wo wir nie wieder hinwollten, Ich will dass du’s tust
geh bitte wählen!
ALEX RÜHLE, SZ
„Aufstehen für die Demokratie“. Ich weiß nicht genau, was ich da sagen soll. Sie alle sind ja schon aufgestanden, sonst wären Sie nicht da. Ich kann nur etwas erzählen. Als Journalist.
Am 16. Oktober letzten Jahres wurde die maltesische Bloggerin Daphne Caruana Galizia durch eine Autobombe ermordet. Galizia war für ihre investigative Arbeit bekannt, hat mehrere maltesische innenpolitische Korruptionsfälle recherchiert, es ging um mafiöse Strukturen und Zusammenarbeit zwischen Politik und Finanzunterwelt, Sie hat an den Panama Papers mitgearbeitet. Ein halbes Jahr nach dem Mord kritisierten über 250 Schriftsteller die schleppende Aufklärung des Verbrechens. In einem offenen Brief des Autorenverbandes P.E.N., der sich unter anderem an die EU-Kommission richtete, beklagten die Schriftsteller, dass die Ermittlungen nicht den internationalen Ansprüchen „von Unabhängigkeit, Unbefangenheit und Effektivität“ genügten. Hat nix gebracht, man weiß bis heute nicht, wer sie ermordet hat.
Am 25. Februar 2018 wurde der slowakische Journalist Jan Kuciak zusammen mit seiner Freundin erschossen. Die Täter müssen Profikiller gewesen sein, eine Kugel für jeden. Kuciak hat ebenfalls mitgearbeitet an den Panama Papers und recherchierte zu Fällen von Korruption und Steuerdelikten in der Slowakei, zu Beziehungen zwischen organisiertem Verbrechen und Politik. Im März wurden zwar mehrere italienische Geschäftsmänner festgenommen, deren Namen im letzten Artikel von Kuciak aufgetaucht waren. Die Unternehmer sollen mit der ‚Ndrangheta, in Verbindung stehen und sich in der Slowakei auf Steuerbetrug und Missbrauch von EU-Förderungen spezialisiert haben. Die Festgenommenen wurden später alle wieder aus der Untersuchungshaft entlassen.
Zwei Morde. Kein Täter. Und hat das was mit uns zu tun? Im wörtlichen Sinne: nur am Rande. Am Rand der EU, auf dieser kleinen seltsamen Geldwäscheinsel im Mittelmeer. Und im hintersten Osten der Slowakei.
Näher ist uns schon Roberto Saviano. Der lebt noch. Aber wer weiß schon, wie lange noch.
Saviano steht seit 2006, seit „Gomorrha“ unter Polizeischutz. Ein Buch über Praktiken der Camorra und deren enge Verflechtung mit legalen Wirtschaftsstrukturen und der Politik. Saviano erhält seither regelmäßig Todesdrohungen. Nachdem er Anfang Juni die neue italienische Regierung im Guardian scharf für ihre Flüchtlingspolitik kritisiert hatte, reagierte Matteo Salvini, Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident Italiens, mit der Drohung, ihm den Polizeischutz zu entziehen. Salvini wörtlich: „Aufstehen zuständigen Institutionen werden beurteilen können, ob er irgendeinem Risiko ausgesetzt ist – auch weil ich den Eindruck habe, dass er viel Zeit im Ausland verbringt. Sie werden berechnen, wie die Gelder der Italiener ausgegeben werden sollen. Ich schicke ihm ein Küsschen.“ Saviano nannte ihn daraufhin auf Facebook „Minister der Unterwelt“. Als ich ihn daraufhin interviewte, sprach er davon, dass Salvini mit solchen Drohungen und „einer Politik, die ausgerechnet diejenigen angreift, die über die Verbrecherorganisationen sprechen, das Spiel der Mafia mitspielt“. Wissen Sie, was Salvini daraufhin machte? Er hat Saviano angezeigt. Seine lebensgefährliche Drohung, ihm den Polizeischutz zu entziehen, hat er nicht zurückgenommen.
Immer noch weit weg. Italien.
Aber was ist, wenn deutsche Reporter auf einer Demo Helme tragen müssen und Leibwächter brauchen, um noch ihrer Arbeit nachgehen zu können? Wenn sie, wie zuletzt in Chemnitz und Köthen gezielt angegriffen werden? Wenn sie ihre Berichterstattung abbrechen müssen, weil, Zitat Marcus Engert von Buzzfeed, es für Journalisten „im Dunkeln zu gefährlich ist“. Und wenn sie dann von staatlicher Seite nicht eindeutig geschützt werden?
DJV-Pressesprecher Hendrik Zörner „Wir haben den Eindruck, dass sich in rechtsextremen Kreisen die Strategie bahnbricht, sich die Journalisten, die zur Berichterstattung bei Demonstrationen da sind, vorzunehmen und mit Gewalt gegen sie vorzugehen. Das ist nicht mehr ein spontaner Wutausbruch, sondern ein gezieltes, abgesprochenes Vorgehen.“
Die Gefahr, dass durch die Gewalt gegen Journalisten die Pressefreiheit gefährdet wird, sei „bereits ganz real“, ist Zörner überzeugt. „Es gibt bereits erste Medien, die ihre Leute nicht mehr dahin schicken. Andere Medien stellen Journalisten Begleitschutz zur Verfügung, damit sie in die Demonstrationen hineingehen. Das ist ganz klar eine Einschränkung der Berichterstattung.“
Der Mob ist das Eine. Wenn der Staat den souverän im Griff hat, kein Problem.
Wie soll man darauf reagieren, wenn VS-Präsident Maaßen danach sagt, ihm lägen keine belastbaren Informationen für Hetzjagden vor. Auch gebe es keine Belege dafür, dass das im Internet kursierende, erstmals von „Antifa Zeckenbiss“ hochgeladene Video zu „diesem angeblichen Vorfall“ authentisch sei. „Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.“ Lügenpresse-Vorwurf plus Verschwörungstheorie in einem. Maaßen hat es umgedreht: Nicht die Gewalttäter sind das Problem sind sondern Beweise für ihre Gewalt?
Zeit: „So aber hat sich aus dem Inneren der Exekutive eine bedeutende Stimme an Deutschlands Populisten gewandt. Ihr seid nicht allein, sagte sie, ihr habt Verbündete hier, im Zentrum der Macht. Und weiter sagte sie: Wahrheit gibt es nicht. Fakten gibt es nicht. Alles kann so oder ganz anders gewesen sein.“
Was soll man sagen, wenn er danach behauptet, das alles nicht so gemeint zu haben und er im Amt bleiben darf? Wenn der Mann, der ihn im Amt belässt, Horst Seehofer, sagt, Er müsse jeden Tag „Fake News“ entgegentreten und damit die Zeitungen und öffentlich-rechtlichen Sender meint.
Ach ja. Fretterode. Sagt Ihnen das was? 170-Seelendorf halbe Stunde südlich von Göttingen. In der Mitte der Ortschaft überragt ein großes Gutshaus alle anderen Gebäude. Darin wohnt seit 1999 der Thüringer NPD-Chef Thorsten Heise, einer der umtriebigsten Neonazis Deutschlands – zuletzt hat er im April für das „Schild und Schwert-Festival“ knapp 800 Rechtsextreme im sächsischen Ostritz zusammengetrommelt. Als am 29. April bei ihm ein Treffen stattfand, wollten das zwei junge Göttinger Journalisten dokumentieren.
Daraufhin wurden sie von zwei jungen Männern verfolgt. Erst mit einem schwarzen BMW. Dann zu Fuß mit Schraubenschlüssel in der Hand. „Die beiden Journalisten schafften es, die Verfolger abzuschütteln und das Dorf zu verlassen. Aber eine knappe Minute später tauchte der schwarze BMW wieder hinter ihnen auf – und fing sofort an, sie zu bedrängen. „Die saßen uns direkt an der Stoßstange, das war eine richtige Verfolgungsjagd“, sagt Malte. Die Fahrt ging über knapp acht Kilometer, dann landeten die Journalisten bei einem Ausweichmanöver im Straßengraben. Malte gelang es gerade noch, sich die Speicherkarte aus seiner Kamera in den Strumpf zu stecken, dann zerbarst die Heckscheibe des Autos durch einen wuchtigen Schlag mit dem Schraubenschlüssel.
In den nächsten Sekunden schlugen die beiden Angreifer fast alle Scheiben des Autos ein, zerstachen die Reifen und sprühten Pfefferspray in den Innenraum. Maltes Kollege, der es noch nach draußen geschafft hatte, bekam von B. schließlich einen Schlag mit dem Schraubenschlüssel auf den Kopf, er trug eine riesige, blutende Platzwunde davon. Der andere Angreifer versuchte, Maltes Kamera aus dem Auto zu klauen – und als der sich wehrte, stach er wortlos Dutzende Male mit einem Messer in den Innenraum des Autos, bis er Malte schließlich am Oberschenkel verletzte und die Kamera zu fassen bekam. Erst dann ließen die Angreifer von den Journalisten ab, sprangen in ihr Auto und fuhren in Richtung Fretterode davon. Danach dauerte es Malte zufolge noch gut 20 Minuten, bis die Polizei am Tatort auftauchte.“
Das ist fünf Monate her. Man weiß, wer die beiden Männer sind. Es gab eine Anzeige wegen schweren Raubs und versuchten Totschlags. Nach der Tat hatten die beiden Angegriffenen der Polizei eine Speicherkarte mit über 30 Fotos übergeben, auf denen die Täter deutlich zu sehen sind. Es wurde bis heute niemand festgenommen.
Weil ich’s nicht fassen konnte, hab ich gestern nochmal den Anwalt der beiden angeschrieben: Antwort: „Es ist leider wahr – bislang ist niemand festgenommen wurde. Ein Täter ist zweifelsfrei identifiziert. Ein anderer hätte mit vernünftiger (durchschnittlicher) kriminalistischer Arbeit im unmittelbaren Anschluss an die Tat identifiziert werden können. Tja. Ich bin da auch ziemlich frustriert.“
All das finde ich zutiefst verstörend.
Danke für ihre Aufmerksamkeit.