Foto: Documenta 14 in Athen
Predigt von Jutta Höcht-Stöhr am 13. Januar 2019 St. Matthäus München
„Wie geht es dir, Welt?“
Erinnern Sie sich noch? Wann hat das eigentlich angefangen, dass immer vor den Nachrichten ein Bericht über die Börsenentwicklung gesendet wird? Jeden Tag vor der Tagesschau die „börse vor acht“. Und auch mehrmals am Tag vor den Rundfunknachrichten. Wie lange ist das her? Ich weiß es leider nicht mehr. Vermutlich war es irgendwann in den 90er Jahren nach der Wende.
Ich habe auch nie recht verstanden, warum es gemacht wird: Ich bin sicher: alle diejenigen, die wirklich Aktien kaufen und verkaufen, informieren sich über andere Wege. Sie brauchen diese Nachrichten nicht. Sie haben schnellere und bessere Quellen. Und die anderen, die gar keine Aktien haben, was fangen sie mit dieser Dauerinformation an? Ob der Dax 1, 2 oder 10 Punkte gesunken oder gestiegen ist – was macht das mit uns? – Das sind ja keine verlässlichen Daten, wie gut oder schlecht es unserer Wirtschaft geht. Es sind Wetten, wie es ihr in Zukunft gehen wird.
Ich denke, es vermittelt uns auf unbewusste Weise, dass dies entscheidende Nachrichten sind, die uns alle angehen. Das Börsenbarometer. Ein Fiebermessen der Konjunktur. Und jeder Bericht ist ein Auslöser für uns, der suggeriert: Diese Daten müssen wir im Augen behalten. Denn sie sind entscheidend dafür, wie es uns geht. Und es soll möglichst aufwärts gehen. Sonst werden wir nervös.
Harald Lesch, der bekannte Münchner Physiker und Fernsehmoderator, hat einmal gesagt: warum kommt eigentlich nicht vor allen Nachrichten ein Bericht, wie es unserer Umwelt geht? Müsste uns das nicht mindestens genauso interessieren? Wären das nicht ebenso wichtige Lebens- und Überlebensdaten, an denen wir uns orientieren müssten? So wie die Zeit diese Woche auf ihrer Titelseite und mit einer neuen Serie fragt: „Wie geht es dir, Welt?“
Harald Lesch, der sich als Astrophysiker ursprünglich für die Entstehung des Kosmos interessiert hat, hat Konsequenzen gezogen und in den letzten Jahren den Blick zurück auf den Blauen Planeten gewandt. Er hat zwei Bücher dazu geschrieben: Zuerst „Die Menschheit schafft sich ab“. Und zuletzt „Wenn nicht jetzt, wann dann? Handeln für eine Welt, in der wir leben wollen“. Ein wenig erinnern diese Formulierungen an einen anderen Umkehrprediger.
Ich lese zu Beginn des Neuen Jahres aus dem Lukasevangelium (Kapitel 3):
Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa; Hohepriester waren Hannas und Kajaphas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias. Und er zog in die Gegend am Jordan und verkündete dort überall die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden. … Und er sagte zu den Volksscharen, die hinauszogen, um sich von ihm taufen zu lassen: Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entrinnen könnt? Bringt Früchte hervor, die eure Umkehr zeigen. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.
Da fragten ihn die Volksmenge: Was sollen wir also tun? Er antwortete ihnen: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso! Es kamen auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und fragten ihn: Meister, was sollen wir tun? Er sagte zu ihnen: Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist! Auch Soldaten fragten ihn: Was sollen denn wir tun? Und er sagte zu ihnen: Misshandelt niemanden, erpresst niemanden, begnügt euch mit eurem Sold!
Mit diesen und vielen anderen Worten ermahnte er das Volk und verkündete die frohe Botschaft.
Die Axt an der Wurzel – Lebensstil ohne Zukunft
Diese Szene ist uns vertraut: Johannes der Täufer, der Asket im härenen Gewand, hält eine flammende Umkehrrede. Er steht im Jordan und fordert die Leute auf, ihr Leben zu verändern, weil es so, wie es ist, keine Zukunft hat, weil im Bild gesprochen, die Axt schon an die Wurzel gelegt ist. Das könnten wir heute von unserem Lebensstil auch sagen, mit dem wir die Axt selbst an unsere Grundlagen angelegt haben.
Weniger bekannt ist das Gespräch zwischen den Zuhörern und Johannes, was denn Veränderung bedeutet. Keiner außer Lukas hat so ein Gespräch in seinem Evangelium. Bei Matthäus richtet sich die Umkehrpredigt nur an die Oberschichten im Jüdischen Volk: an die Schriftgelehrten und die Tempelpriester. Sie sollen von ihrem Überlegenheitsgefühl ablassen und ihre Fehler eingestehen. Bei Lukas aber geht es um uns alle. Es ist nicht die Oberschicht, die Elite, der die Leviten gelesen werden. Es ist die Volksmenge, die zum Jordan hinausgegangen ist, weil sie spürt, dass etwas Wichtiges in der Botschaft des Wüstenpredigers steckt.
Und Johannes, der Asket, ist bei Lukas erstaunlich klar und gar nicht extrem. Für jeden Berufsstand, der ihn fragt, hat er eine differenzierte Antwort, eine Orientierung, die nicht unmöglich zu erfüllen ist. Was ist die Richtung seiner Botschaft?
Zur ganzen Volksmenge sagt er: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso! Das ist das Gegenteil zum ständigen Wachstumsimpuls unseres Wirtschaftssystems, dem es darum geht: Wie können wir den Konsum steigern? Johannes wendet die Frage anders: Was brauche ich, und was braucht der andere? Und wenn wir ehrlich sind: Was wir brauchen, ist nicht soviel, wie wir meinen.
Manche haben übervolle Wohnungen und ersticken eher an dem, was sie alles angesammelt haben. Sich von Dingen zu trennen, kann eine echte Befreiung sein. Andere haben in der Tat zu wenig: zu wenig Geld, um sich im teuren München eine Wohnung zu leisten. Zu wenig Geld, um am Leben in dieser Stadt teilzuhaben.
Für den Rat des Johannes gibt es heute gute Ideen: So hat die Kirche in München ein Second Hand Kaufhaus geschaffen. In ihrem „Diakonia-Kaufhaus“ an der Dachauer Straße kann man sein Zuviel abgeben. Es wird von Menschen, die selbst lange arbeitslos waren und hier Arbeit gefunden haben, sortiert und dann in Regalen neu angeboten. Und Menschen, die wenig Geld haben, können sich hier wirklich schöne Dinge kaufen. Eine rundum gute Idee.
Niemanden kostet sie etwas. Alle haben etwas davon. So wird Umkehr nicht nur eine abstrakte Forderung, sondern eine richtig gute Lösung, die glücklich macht. Ich liebe solche Ideen, die nicht moralisch sauer daher kommen, sondern intelligent. Weil sie den Umstieg real ermöglichen. Und Dinge abzugeben, zu teilen, das kann Luft in unsere Wohnungen und in unser Leben bringen. Wer es ausprobiert spürt: Es erleichtert uns.
Der Bußprediger verlangt nichts Unmögliches
Der Gedanke des Teilens richtet sich bei Johannes dem Täufer an uns alle. Dann kommen bei Lukas aber noch zwei spezielle Berufsgruppen in den Blick, die es mit Geld und Macht zu tun haben. Beide hatten damals ein ziemlich negatives Image. So wie heute vielleicht Immobilienspekulanten oder wie Banker, die an Steuerbetrugsmodellen arbeiten. Oder wie Waffenhändler, die in Spannungsgebiete Waffen liefern. Damals waren es die Zöllner und die Soldaten, die den denkbar schlechtesten Ruf hatten. Beide standen im Dienst der römischen Besatzungsmacht.
Johannes sagt zu den beiden Berufsgruppen nicht: Steigt aus. Werft euern Job hin, geht wie ich in die Wüste. Er sagt etwas viel Realistischeres und Erfüllbares: Zu den Zöllnern sagt er: Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist! Und zu den Soldaten: Misshandelt niemanden, erpresst niemanden, begnügt euch mit eurem Sold!
Ist das nicht erstaunlich? Er der radikale Bußprediger, verlangt gar nichts Unmögliches. Wogegen Johannes spricht, ist schlicht Unrecht: Er spricht gegen Erpressung und Betrug, gegen Misshandlung und Ausnutzen der eigenen Machtstellung. Das ist erfüllbar. Und doch: wie anders sähe die Welt aus, würde nur das erfüllt!
Beschränkung auf das, was Recht ist, statt Gier. Einhalten des Rechts statt Betrug. Das überfordert uns nicht. Das ist eine Wohltat.
Aber ist es heute noch genauso – ich sage mal – „einfach“? Reicht es, wenn wir uns im Rahmen dessen bewegen, was heute Recht ist? Liegt das Problem nicht bereits in unserem System? Die Wirtschaft heute ist viel dynamischer geworden? Sie verändert viel. Sie greift tief in die Natur ein. Sie verbraucht viele Ressourcen. Und sie lebt davon, dass wir nicht aufhören, immer mehr zu konsumieren. Eine gewisse Gier, ein unstillbarer Hunger, gehört zum System, damit das Wachstum nicht stoppt.
„Diese Wirtschaft tötet“ – Plädoyer für eine solidarische Ökonomie
Als der der argentinische Kardinal Jorge Mario Bergoglio im März 2013 Papst wurde, hat er für sich den Namen Franziskus gewählt – als erster Papst überhaupt. Es ist der Name des beliebtesten und radikalsten aller Heiligen der Katholischen Kirche. Der Name des reichen Jünglings, der sich vor Gericht nackt machte und sein Gut den Armen gab. Im selben Jahr veröffentlichte Papst Franziskus ein Lehrschreiben, eine Art Regierungserklärung unter dem Titel „Die Freude des Evangeliums“. Und er proklamiert darin ein Konzept einer solidarischen Wirtschaft. Seine Kritik heute ist so scharf wie die des Täufers damals. Er legt die Axt an die Wurzel. Er kritisiert eine Wirtschaft der Rücksichtslosigkeit, die exzessiv Steuern vermeidet, die Natur systematisch beschädigt, ohne dafür haften zu müssen und menschliche Arbeitskraft weltweit noch immer ausbeutet. In dem Schreiben des Papstes steht wie ein Paukenschlag der Spitzensatz „Diese Wirtschaft tötet“. Für diesen Satz ist er viel kritisiert worden. Denn natürlich schafft unsere Wirtschaft viele Güter, die wir zum Leben brauchen.
Wir alle sind in dieses System hineingestrickt. Wenn wir billige Kleidung suchen, aber genauso, wenn wir teure Kleidung kaufen, die zu Niedrigstlöhnen in den Sweatshops des globalen Südens genäht und von Markenfirmen des Nordens mit hohem Gewinn teuer verkauft werden. Wie bei Lukas ist es nicht nur die Oberschicht, die von der Kritik getroffen ist, sondern wir alle sind Teil des Systems und profitieren davon. Gibt es etwas, dass uns heute gesagt werden könnte – so einfach wie Johannes zur Volksmenge redete: „Wer zwei Mäntel hat gebe einen dem, der keinen hat“.
Die Religion, die Kirche kann kein konkretes Wirtschaftssystem entwickeln. Es ist nicht ihre Aufgabe, konkrete Maßnahmen zu beschreiben, die die besten sind. Aber eines kann sie: Sie kann die klare ethische Orientierung unseres Lebens wach halten. Die Frage: Was ist der Trigger unseres Lebens? Was treibt uns im Innersten an? Ist es die Suche nach einem guten Leben für alle, oder ist es die Gier, das Maximum für uns herauszuholen.
Was brauchen wir wirklich? Was sind unsere konkreten Bedürfnisse. Oder mit anderen Worten: Was macht uns glücklich?
Es ist spannend, dass es parallel dazu, dass die Kirche selbst immer reicher wurde, immer auch neue Klostergründungen und Armutsbewegungen gab. Es gab immer das Bewusstsein, das dies ein notwendiges und heilsames Korrektiv ist, die Vision eines einfacheren Lebens. So etwas könnten auch wir Christen in unserer Gesellschaft und auf unserer Erde sein. 2 Milliarden sind wir immerhin. Und es könnte durchaus sein, dass es uns sehr viel zufriedener macht, bewusst einfacher zu leben. Es gibt heute in unserer Stadt viele Lebensstilpioniere, die etwas Neues versuchen, die fragen, wie es der Erde geht und wie wir an ihrem Wohlergehen mitwirken können.
Gute Nachricht – Ethik entlastet
Es ist überraschend, dass am Ende der Umkehrpredigt des Johannes der Satz steht: Mit diesen und vielen anderen Worten ermahnte er das Volk und verkündete die frohe Botschaft. Eine Ermahnung als frohe Botschaft? Wie geht das denn zusammen?
Auch das päpstliche Lehrschreiben war eine Ermahnung und hieß doch „Freude des Evangeliums“. Das geht zusammen, weil es eine Ermahnung ist, die uns in Wahrheit entlastet: Ballast abwerfen, den wir mit uns herumschleppen. Leerraum zu schaffen in unseren Wohnungen. Denen mehr zukommen zu lassen, die wenig haben. Das meint nicht nur milde Gaben.
In einer Gesellschaft läuft der Ausgleich vor allem über Steuern, die die Wohlhabenderen zahlen und mit denen Gemeingüter finanziert werden. Wir könnten unser Verhältnis zu Steuern ändern: Nicht jede Möglichkeit zur Steuervermeidung suchen, sondern mit Selbstbewusstsein und Stolz Steuern zahlen. Denn, dass wir Steuern zahlen, zeigt ja, dass wir etwas vermögen und etwas für unser Gemeinwesen beitragen können.
Noch treiben uns die Hauptströme unseres Denkens und Wirtschaftens in eine andere Richtung: Wachstum, Gewinnmaximierung, Steuervermeidung. Glücklich machen diese Haltungen nicht. Denn sie sind prinzipiell unersättlich.
Glücklich macht es aber, mit seinem Geld etwas Sinnvolles zu schaffen, etwas das nicht nur uns selbst, sondern Vielen zugute kommt.
Die frohe Botschaft ist, dass Ethik, dass eine moralische Haltung zur Welt uns in Wahrheit entlastet. Sie steht für ein gutes Leben für alle. Gemeinwohl statt Eigennutz. Das befreit uns ganz nebenbei von Selbstsucht und Gier. Ethik lässt ein gesellschaftliches Klima der Solidarität und Zuwendung wachsen. Und das ist in der Tat eine gute Nachricht. Dieses Glück und eine immer größere Freiheit wünsche ich Ihnen für dieses Neue Jahr!
Ideen dazu in unserem Programm im Sommersemester:
19 Uhr im Café Luitpold
Und in der Stadtakademie: