In einem hoch technologisierten Land wie Deutschland fällt jährlich viel Elektroschrott an, und zwar in Höhe von rund zwei Millionen Tonnen. Von diesem anfallenden „Müll“ werden nur Bruchteile einem vergleichbaren Zweck wie davor zugeführt und die Recyclingquote der verwendeten Rohstoffe ist ebenfalls marginal. In Zeiten immer schnellerer Innovationszyklen und zunehmender Elektrifizierung vieler Bereiche wird dieser Zustand immer problematischer. Wie kann ein Wandel von der Wegwerfgesellschaft hin zu einer Kreislaufwirtschaft gestaltet werden? Diese Frage stand bei acatech am Dienstag am 23. Juni 2020 im Zentrum.
Wolfgang König, emeritierter Professor für Technikgeschichte und acatech Mitglied, skizzierte zunächst den Status quo des gesellschaftlichen Umgangs mit Konsumprodukten. Dieser sei typisch für eine Wegwerfgesellschaft. Symptomatisch dafür seien insbesondere die Zunahme von Einwegprodukten, die immer kürzer werdende Nutzungsdauer vieler Produkte oder die Verschwendung neuwertiger Produkte (beispielsweise aus Modegründen bei Textilprodukten oder bei Lebensmitteln).
Als Gründe machte er dabei niedrige Preise und Produktionskosten der meisten Güter sowie ein Überflussangebot aus. Die Schuld dafür könne aber weder den enormen Produktionskapazitäten unserer industrialisierten Wirtschaftssysteme noch den sich daran anschließenden individuellen Konsummentalitäten der Verbraucher zugeschoben werden. Vielmehr sei es ein Zusammenspiel dieser Dynamiken, die ein Ungleichgewicht beim Verbrauch an natürlichen Ressourcen und Energiequellen provozieren, indem sie die wahren Preise für die Umwelt und letztlich für die Gesellschaft verbergen.
Eine Entwicklung, die er dabei insbesondere in Bezug auf die Zunahme von Elektroschrott beobachtet, ist die Expansion elektronischer Elemente. Sie ersetzen zunehmend vormals mechanische oder hydraulische Komponenten in Geräten und steigern so die (oftmals ungenutzten) Funktionalitätsoptionen.
Dringenden Handlungsbedarf sieht auch Matthias Franke, Abteilungsleiter für Kreislaufwirtschaft beim Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik. In seinem Vortrag lieferte er weitere Zahlen. Dem Global E-Waste Monitor 2017 zufolge fielen weltweit insgesamt 44,7 Millionen Tonnen Elektroschrot pro Jahr an. 4 Prozent davon werden über den Restmüll entsorgt, 20 Prozent werden gesammelt – bei 76 Prozent ist der Verbleib jedoch unbekannt. Dieser Anteil lande höchstwahrscheinlich auf Deponien, wie der zu trauriger Bekanntheit gelangten Elektronikschrottdeponie in Agbogbloshie in Ghana, so Matthias Franke.
Wenn man die Einzelbestandteile dieses weltweiten Elektroschrotts, darunter Eisen, Plastik, Kupfer oder auch Gold, nach ihrem Marktwert beziffere, komme man zusammengenommen auf 55 Milliarden Euro. Die enormen Wasser- und Energieverbräuche für deren Gewinnung seien dabei noch nicht eingerechnet.
Lösungswege sind nach der Ansicht beider Experten bei den klassischen Abfallstrategien zu finden, die auch Grundlage der aktuellen Gesetzgebung sind und dringend weiterentwickelt werden müssten. Wichtig sei aber insbesondere die Gewichtung dieser Strategien. Und zwar genau in dieser Reihenfolge: (1) Vermeidung, (2) Verwertung und erst am Ende (3) Beseitigung. Wie dies im Einzelnen aussehen kann, wurde auch in der Diskussion mit den Onlineteilnehmenden thematisiert.
Wolfgang König und Matthias Franke betonten, dass insbesondere die Vermeidung von Elektroschrott oberstes Ziel sein sollte. Zentral für die Erreichung dieses Ziels sei Suffizienz – das heißt ob ein Gerät wirklich benötigt wird oder nicht – und der dafür nötige Mentalitätswandel bei den Verbrauchern. Eine Verlängerung der Nutzungsdauer sowie bessere Reparaturleistungen bei defekten Geräten könnten außerdem dazu beitragen. Dafür müssten die Geschäftsmodelle von Unternehmen wieder mehr darauf abzielen, die Geräte im Besitz der Unternehmen zu belassen und die Dienstleistung an Verbraucher zu verkaufen (zum Beispiel der Verleih von Druckern oder anderer Bürogeräte). Zudem sollten Reparaturleistungen durch Modularität und nachrüstfreundliche Produktgestaltung auch politisch bei Unternehmen gefördert und eingefordert werden.
Die abschließende Diskussion moderierte Thomas Zeilinger, Beauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für Ethik im Dialog mit Technologie und Naturwissenschaft. Die Diskussion zeigte deutlich, dass bei diesem umweltpolitischen Thema technische Lösungen – wie die Verbesserung der Verwertungsketten, Recyclingquoten und marktwirtschaftliche Mechanismen – einem sozialen Einstellungswandel, der durch politische Gebote und Verbote bewirkt werden kann, häufig gegenüber zu stehen scheinen, aber dass letztendlich Antworten, die beide Tendenzen vereinen können, den meisten Erfolg versprechen.
Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der Evangelischen Stadtakademie München und dem Beauftragten für Ethik im Dialog mit Technologie und Naturwissenschaft der ELKB statt.
Interview zum Thema:
Prof. Dr. Thomas Zeilinger sprach im Vorfeld der Veranstaltung mit Hon. Prof. Dr.-Ing. Matthias Franke über die technischen Herausforderungen bei der Verwertung von Elektroschrott sowie die Möglichkeiten über veränderte Geschäftsmodelle und einem nachhaltigeren Konsumverhalten jedes Einzelnen die Menge an Elektroschrott zu reduzieren.
Auf acatech.de